Neugierig auf das weite Land und voller Erwartung waren wir, zwei Freunde aus dem westlichen Zipfel Deutschlands, Anfang September 2000 von Düsseldorf den weiten Weg an die kanadische Westküste gekommen. Eine interessante Kanutour in der Abgeschiedenheit der unberührten nördlichen Wälder war der Grund dieser Reise: Wir hatten Vancouver, die urbane Perle am Pazifik und Whistler, den boomenden, in atemberaubender Hochgebirgskulisse gelegenen Sommer- und Wintersportort besucht. Auch die historischen "road-houses" am Cariboo-Highway, der alten "waggonroad", dem "gold-rush-trail" des ausgehenden 19. Jahrhunderts lagen bereits weit hinter uns, als wir auf kilometerlanger Schotterpiste endlich die moderne, unter deutschem Management exzellent geführte Becker´s - Lodge (www.beckers.bc.ca) erreichten. Dieser zivilisationsferne Ort an der Grenze zum Bowron Lake-Provincial-Park war der Ausgangspunkt unserer 7-tägigen Kanutour über die gleichnamige Seenkette. Die Bowron Lake Chain, wie sie auf einem Hinweisschild an der Straße benannt ist, liegt ca. 750 km nord-östlich von Vancouver in der rauen Wildnis der geschichtenumwobenen Cariboo-Mountains.
Am Vormittag des nächsten Tages gings dann endlich los: Das 2-Mann-"Hellman"-Kanu war nach den Anweisungen des freundlichen, gewissenhaften und hilfsbereiten Outfitters gepackt: Reichlich Proviant und unsere funktionale Kleidung waren wasserdicht in Fässern und Seesäcken verstaut, unser Gepäck auf die Einhaltung des - nur auf den Portagen - gültigen Höchstgewichts von 60 lbs (ca. 30 kg) kontrolliert und verladen...
Nur das leise Geräusch unserer Paddelschläge war zu hören, als wir endlich langsam, unter wolkenverhangenem Himmel, über die spiegelglatte Wasserfläche des Kibbee-Lake dahinglitten... Es war früher Nachmittag, Ruhezeit für die Tierwelt ringsum; nur der allgegenwärtige Ruf des "Laughing Loon", eines häufig auf allen Seen der Chain anzutreffenden Tauchvogels, unterbrach hin und wieder die Stille.
Aufhorchen bei jedem der vielen noch unbekannten Geräusche dieser nördlichen Wälder, wilde Gedankenfetzen, die Vorstellung, einer der großen Bären könnte unser Lager besuchen, begleiteten den leichten Schlaf dieser ersten Nacht hier draußen... Realistischer ging´s da schon am nächsten Morgen zu: Unsere Befürchtung, Schlafsäcke und Zeltausrüstung könnten den Bedingungen der bereits sehr kühlen Septembernächte nicht gewachsen sein, hatten sich mittlerweile zerstreut. Heißer Kaffee und dick mit "peanut-butter" bestrichene Brote, Müsli und Obst rüsteten uns für den kommenden Tag. Leider trübte das regnerische, kühle Wetter die Sicht auf die nahen, schneebedeckten Gipfel der Mowdish Range am Ende des 38 km langen Isaac-Lake.
Die Schneegrenze hatte sich in den letzten Tagen bedrohlich der Uferlinie genähert, und immer wieder sahen wir fasziniert den heftigen Winden im Spiel mit den Wolkenschichten der Gipfelregionen zu. Kurze sonnige Abschnitte boten uns ab und zu Gelegenheit, Regenhose und Poncho abzustreifen, uns zurückzulehnen, dem "Loon" zu lauschen, oder mit unseren Ferngläsern die Uferregionen nach Wild abzusuchen. Das Ende des Isaac-Lakes lag lange Zeit in weiter Ferne; wollte kaum herankommen. Nur ausdauerndes Paddeln brachte uns schließlich in die Nähe des "trailheads" der nächsten Portage entlang des Isaac-Rivers. Unerwartet tauchte unweit der Markierung des "trailheads" endlich der lange erwartete "König" dieser Wälder auf: Der großer Schwarzbär trottete gemächlich am Ufer entlang; schien Witterung aufzunehmen, hielt kurz inne, um dann - anscheinend desinteressiert - im Unterholz des bis ans Seeufer reichenden Waldes zu verschwinden. Konnten wir es wagen, jetzt aus dem Boot zu steigen, oder sollten wir besser noch einige Zeit auf dem See bleiben, um abzuwarten, ob dieser durchaus nicht ungefährliche und dennoch putzige Kerl wiederkehren würde? Wir entschlossen uns für den sofortigen Ausstieg und den Beginn der Portage. Der Bär zeigte tatsächlich kein weiteres Interesse an den menschlichen Eindringlingen. Schließlich werden wir nicht die ersten Störenfriede in seinem Revier gewesen sein... Diese Vermutung fanden wir kurz darauf recht imposant bestätigt, als wir das an der Portage gelegene Shelter betraten: Viele begeisterte Kanuten hatten hier Phantasie und Schnitzfertigkeit freien Lauf gelassen und aus kleinen Brettchen Miniatur-Kanus und -Paddel geformt und - mit Namen und Daten versehen - ins Dachgebälk der offenen Schutzhütte gehängt. Eine leichte Brise lies die hölzernen Kunstwerke eigentümlich für uns erklingen... Eine kreative und gern kopierte Idee mit inzwischen vielerlei skurrilen Ergebnissen. Sogar ein mit wenigen Mitteln kunstvoll gefertigtes Birkenrinden-Kanu, wie es die Indianer und Voyajeures, die ersten Pelztierjäger im Auftrag der Hudson-Bay-Company vor etwa 2 Jahrhunderten benutzt haben, war hier "en miniature" zu bestaunen.
Auch an diesem Abend hatten wir wenig Probleme, ein wärmendes Feuer mit dem vom vielen Regen feuchten Holz anzufachen. Die oft erprobte und immer wieder erfolgreiche Methode der Indianer und Trapper mit Hilfe der vielseitig verwendbaren, harzreichen Birkenrinde ein prasselndes Grundfeuer anzuzünden, verhalf uns auch diesmal zu beschaulicher Camp-Atmosphäre.
Interessant und abwechslungsreich gestalteten sich die Fahrten auf dem Cariboo River zum Lanezi-, Sandy- und Unna-Lake, auf dem Babcock Creek zum Babcock-Lake und im Anschluß an den Spectakle-Lake auf dem Bowron River, da diese schalen, oft schilfgesäumten Flüsse uns ohne große eigene Anstrengung weitertrugen. Malerische, bögenschwingende Mäander ließen uns immer wieder hoffen, einen Elch auf einer der Auenwiesen beobachten zu können. Aber auch hier war die Mittagszeit wohl Ruhezeit für diese majestätischen Tiere, von denen wir leider nur Fußspuren im weichen Uferschlamm entdecken konnten. Spielende Otter und der Anblick eines in der Nähe landenden Bald-Eagle entschädigten uns jedoch später für die entgangene Elchbeobachtung. Die jungen Otter rangelten um einen gerade gefangenen Fisch; ein Bild das lange in unseren Gedanken blieb... . Der urplötzlich aus den Wipfeln der umstehenden Douglas-Firs herunterstoßende Adler stellte jedoch auch die putzige Otter-Familie in den Schatten. Der Bald-Eagle ist der König des Himmels über den Lakes und sein kräftiger Flügelschlag trägt ihn in kurzer Zeit über die schneebedeckten Berggipfel hinweg, dem nächsten fischreichen See entgegen...
Der letzte Tag unserer unvergesslichen Fahrt über die Seen brachte uns eine Erfahrung, die uns die Unberechenbarkeit und Kraft der Natur in dieser Region sehr deutlich zeigte: Den ganzen Tag hatten wir den Rückenwind nutzen und so gute Fahrt machen können, ohne uns schwer ins Zeug legen zu müssen. Das Ziel unserer Fahrt, die mit rotem Blechdach eingedeckte Lodge am Bowron-Lake, hob sich bereits deutlich ab vom dunklen Grün des dichten Mischwaldes. Noch 25 Minuten trennten uns von unserem Ziel, als graue Regenfahnen aus dem Tal, an dessen Hang das mächtige Holzhaus lag, ein rasch herannahendes Gewitter ankündigten. Innerhalb von nur 3 Minuten drehte der Wind und kam uns nun unbarmherzig, böig und mit hohem Wellengang so heftig entgegen, daß wir trotz großer Anstrengung kaum noch Fahrt machten. Wir hatten uns ohnehin schon am linken Ufer des Bowron-Lake gehalten, das wir nach schwerem Kampf mit Wind und Wellen schließlich mit reichlich Wasser im Boot an einer geschützten Stelle erreichten. Wir konnten das Boot verlassen und dem tobenden Wetter von Land aus zusehen. Trotz guter Regenkleidung waren wir völlig durchnäßt und die Kälte zog uns in die müden Glieder. Nach einer guten Viertelstunde war der Spuk so rasch vorbei, wie er gekommen war und wir konnten uns beim Paddeln wieder etwas aufwärmen. Die hohen Wellen, die uns bei Hereinbrechen des Gewitters entgegenschlugen, hätten uns wesentlich mehr Probleme bereitet, wären wir in gerader Linie, statt in Ufernähe, auf die Lodge zugefahren. Vorsicht und die Kenntnis der eigenen Leistungsfähigkeit zahlt sich immer aus und ein Quäntchen Glück gehört genauso häufig dazu, wenn ein Wildnis-Trip erfolgreich abgeschlossen werden soll.
Insgesamt ist die Befahrung der Bowron Lakes Chain nach unserer Erfahrung ein "Muß" für jeden Kanufreund und Naturliebhaber. Hier oben im kanadischen Nordwesten vereinen sich unvergeßliche Panoramablicke in die ursprüngliche Bergwelt der Cariboo-Mountains mit dem zwar herausfordernden und physisch strapaziösen, aber mental sehr entspannenden Kanuerlebnis auf einer Strecke ohne hohe Schwierigkeitsgrade. Ausdrücklich sei deshalb erwähnt, daß auch körperlich gut trainierte Kanu-Anfänger diese Befahrung durchführen können. Prädikat: sehr empfehlenswert! Herbert Woopen Werner Goffin
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